Bielitz und Biala 1772 – 1918

Lemberg, der Sitz der neuen Provinzbehörden, wurde mit Wien durch die „Kaiserstrasse” verbunden, die ab 1777 gebaut wurde. Sie verlief durch die Zentren von Bielitz und Biala. Der Straßenbau führte zu wesentlichen urbanen Veränderungen in beiden Städten und wies gleichzeitig neue Wege in ihrer räumlichen Entwicklung. So entstand in Biala damals der sog. zweite Ringplatz, Durch die Städte bewegte sich die Welle von Siedlern, die aus den Gebieten Böhmens und Österreichs nach Galizien strebten. In den ersten Jahren nach der Eingliederung nach Österreich erlebte Biala wegen der hohen Grenzzölle nach Polen, Schlesien und Ungarn eine Wirtschaftskrise. Die Situation besserte sich 1784 nach dem Fortfall der Zollgrenze am Bialafluß und vor allem 1789, als es königliche Freistadt und gleichzeitig eine selbständige Pfarrgemeinde und endgültig unabhängig von der Starostei Lipnik wurde.
Die ersten 80er Jahre des 18. Jh. brachten eine Wende zum Besseren für die Protestanten, die in Bielitz und Biala die in wirtschaftlicher Hinsicht stärkste Bevölkerungsgruppe bildeten. 1781 bildete sich in Biala infolge des von Österreich anerkannten sog. Warschauer Vertrages von 1768 die selbständige evangelische Pfarrgemeinde. In eben diesem Jahr 1781 erschien das Toleranzedikt von Kaiser Josef II., das die Bildung der evangelischen Gemeinde in Bielitz erlaubte. Von dieser trennte sich 1829 die selbständige Pfarrgemeinde von Altbielitz.
Der Wegfall der Zollgrenze an der Bialka, die jetzt nur noch Provinzgrenze war, förderte das Zusammenwachsen beider Städte in wirtschaftlicher Hinsicht. Dieser Prozess wurde durch die napoleonischen Kriege an der Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jh. beschleunigt, denn das war der Zeitraum der größten Blüte des Zunftlebens der Tuchmacherei. Der Grund dafür waren enorme Aufträge von den Militärbehörden, bei Ausschaltung der englischen Konkurrenz durch die Kontinentalsperre. Um 1800 arbeiteten in Bielitz 520 Webmeister und nicht viel weniger in Biala. Der Mangel an Arbeitskräften zwang die Hersteller zum Einsatz von Maschinen und zum Übergang zur fabrikmäßigen Produktion. Ein symbolisches Datum für den Beginn der industriellen Epoche ist für Bielitz das Jahr 1806, als hier die ersten mechanischen Spinnmaschinen aufgestellt wurden. Die stetig zügige Entwicklung erfuhr einen schweren Rückschlag durch den Stadtbrand von 1808, der die ganze Stadt mitsamt den Vorstädten in Schutt und Asche legte. Nicht minder verheerend war der Brand in Bielitz im Jahr 1836.
1811 erhielten die ersten Manufakturen in Bielitz die Befreiung vom Zunftzwang und so wurden sie auch rechtlich die ersten „Tuchfabriken”. Ihre Zahl wuchs stetig, sie nutzten den neuesten Stand der Technik, u.a. wurde 1826 in Bielitz die erste Dampfmaschine aufgestellt. In beiden Städten beobachtete man sorgfältig alles, was im mährischen Brünn, dem neben bömischen Reichenberg größten Textilzentrum der Monarchie, geschah. Brünn war auch seit 1782 die Hauptstadt des Mährisch-Schlesischen Guberniums, zu dem auch Bielitz gehörte. Die Zeiten der industriellen Revolution waren durch die Auseinandersetzung zwischen der Gruppe der zahlreichen traditionellen Zunftmeister und der entstehenden Klasse der „K.u.K. privilegierten Fabrikanten” gekennzeichnet. Gegen die Konkurrenz der „Maschine” hatten die traditionellen Tuchmacher jedoch nicht die geringste Chance und zur Jahrhundertmitte dominierte in Bielitz-Biala schon die großindustrielle Erzeugung.
Das Wachstum der Industrie zog eine Menge neuer Leute an; hauptsächlich waren es deutsche Unternehmer und tschechische Beamte, die hier ihr gelobtes Land witterten. Die Arbeiterschaft rekrutierte sich teils aus den verarmten Meistern und Gesellen, mehr noch aus der polnischen Bevölkerung der benachbarten Dörfer. Es kamen auch immer mehr Juden, die bald den hiesigen Woll- und Tuchhandel beherrschten. Die Juden in Bielitz gehörten zur israelitischen Gemeinde Teschen; sie erbauten 1838 ihre erste Synagoge. Die Juden von Biala-Lipnik waren Mitglieder der Gemeinde Auschwitz.
Der Völkerfrühling von 1848 beschleunigte die Veränderungen; Bielitz genoß damals den Ruf eines „Auges des Protestantismus” in Österreich, als der hiesige Pfarrer Karl Schneider auf dem ersten Österreichischen Reichstag die Rechte aller Protestanten im Staate verteidigte. Dank seiner Intervention wurden die Restriktionen gegen die Evangelischen 1849 nach und nach abgebaut und 1861 bekamen sie die Gleichberechtigung mit den Katholiken. Bielitz wurde nach 1860, hauptsächlich durch die Evangelischen zum wichtigen Mittelpunkt des deutschen Schulwesens. Es gab die Realschule und das Gymnasium, die Gewerbeschule und das evangelische Lehrerseminar. Das Schulwesen stand auf einem hohen Niveau. Nach 1848 wurden auch die Restriktionen gegen die Juden aufgehoben, was ihnen die Ansiedlung in den Städten und ihre wirtschaftliche Entwicklung ermöglichte. 1865 entstand die selbständige Israelitische Gemeinde in Bielitz, 1872 in Biala-Lipnik. Der überwiegende Teil der hiesigen Juden war im deutschen Kulturkreise aufgegangen. Die Gruppe der orthodoxen Juden war nicht groß.
Die Niederlagen auf den Schlachtfeldern von 1859 und 1866 erzwangen eine weitere Liberalisierung in der Innenpolitik Österreichs und den Wechsel von der absolutistischen zur konstitu-tionellen Regierungsform sowie 1867 die Umgestaltung des Staates in die dualistische Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Zur gleichen Zeit wurde auch die sog. Autonomie Galiziens eingeführt, in der die polnische Selbstverwaltung und Schulbehörden installiert wurden. Troppau, die Hauptstadt von Österr. Schlesien wurde wieder von Mähren getrennt. 1849 wurde es eigenes Kronland, 1861 auch Sitz des Schlesischen Landtags. In diesen wurden Abgeordnete aus Bielitz berufen, das seit 1851 auch Sitz der Bezirkshauptmannschaft und des Bezirksgerichts war und wegen seiner wirtschaftlichen Bedeutung 1869 den besonderen Status einer ausgegliederten Stadt in Österr. Schlesien erhielt. Das galizische Biala wurde auch ab 1855 Bezirksstadt im Kreis Wadowice und dann ab 1867 Sitz der Bezirkhauptmannschaft.
Das 1859 erlassene neue Industriegesetz beschleunigte noch mehr die wirtschaftliche Entwicklung des Staates, so auch in Bielitz und Biala. Die Städte wandelten sich endgültig zu neuzeitlichen Industriezentren und wuchsen zu einem wirtschaftlichen Organismus zusammen. 1873 gab es in Bielitz-Biala und Umgebung insgesamt 31 Tuchfabriken, 3 Spinnereien, 9 Walken, 11 Färbereien und 9 Appreturanstalten, wodurch Bielitz-Biala den 3. Rang in Österreich-Ungarn einnahm. Die Absatzmärkte waren vor allem Ungarn, die Balkanländer und die Türkei, die in vielen Ländern des Nahen Ostens herrschte. Es wurden Wollgewebe höchster Qualität in kleinen Serien erzeugt. Die Fabriken waren nicht groß; die größten beschäftigten höchstens 500-600 Arbeiter. Zur Tucherzeugung kamen in der Jahrhundertmitte weitere Zweige der Textilindustrie sowie die Maschinenindustrie. 1855 erhielt Bielitz den Anschluß ans europäische Eisenbahnnetz und durch die Inbetriebnahme weiterer Strecken in den Jahren 1878-88 wurde es ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt in den nördlichen Gebieten der Monarchie.
Die segensreiche Entwicklung wurde durch die Wirtschaftskrise unterbrochen, die 1873 einsetzte und von der man sich erst in den 80er Jahren des 19. Jh. langsam erholen konnte. In den folgenden Jahren kamen immer mehr neue Firmen hinzu. 1904 arbeiteten im Wirtschaftsraum Bielitz-Biala ca. 78 größere und kleinere Tuchfabriken und Spinnereien, 8 Appreturanstalten und 6 Färbereien. Bis 1914 wuchs ihre Zahl noch weiter an. Neben der Textilindustrie arbeiteten die Maschinenfabriken und Metallgießereien, Jute- und Flachsspinnereien, Spirituosenhersteller, das Baugewerbe, Papierfabriken und viele andere Herstellerbetriebe.
Ab der Hälfte des 19. Jh. kam überall in Europa der Nationalismus auf. Auf diesem Nährboden wuchsen auch in Bielitz-Biala die Volkstumskonflikte, die das bisher im allgemeinen friedliche Zusammenleben der Bewohner zu stören begannen. In dem von den Deutschen dominierten Biala begann die polnische Bevölkerung um ihre Rechte zu streiten, wobei sie ab Ende der 60er Jahre des 19. Jh. durch die Selbstverwaltungsbehörden im autonomen Galizien kräftige Unterstützung erfuhren. Ein Stützpunkt im nationalen Leben in Biala war ab 1873 die „Czytelnia Polska” (Polnische Lesehalle), in Bielitz wurde ein solches Zentrum merklich später der „Dom Polski” (Polnisches Haus), das 1902 vom Pfarrer Stojałowski gegründet wurde. Beim Wechsel des 19. ins 20. Jh. entstand eine eigenartige Rivalität bei der Einrichtung von Schulen zwischen dem „Deutschen Schulverein” und der polnischen „T.S.L.” (Towarzystwo Szkoły Ludowej – Volksschulgesellschaft). Beide Nationen fühlten sich in ihrem völkischen Bestand bedroht. Zu den Nationalitätenkonflikten kamen noch die sozialen Streitereien, die durch die intensive Industrialisierung verursacht wurden. Sie traten 1872 und 1890 durch Arbeiterunruhen in Erscheinung und führten zur Einrichtung der Garnison in Bielitz. Fabrikbesitzer waren hauptsächlich evangelische Deutsche und Juden, Arbeiter Polen aus den umliegenden Ortschaften. Aus Furcht vor Polonisierung erschwerte der deutsche Magistrat von Bielitz den Polen die Ansiedlung in der Stadt, weshalb dort niemals größere Arbeiterviertel entstanden.

Die Industrieentwicklung und das dadurch verursachte stetige Wohlstandswachstum fanden im Stadtbild beider Städte ihren deutlichen Ausdruck. In Bielitz nahm die architektonische Veränderung ihren Anfang mit der Anlage des Eisenbahntunnels im Stadtzentrum in den Jahren 1876-1878. Mit dieser Investition verbundene Abrisse von zahlreichen alten Häusern wurden in den folgenden Jahren zu Lasten des alten Stadtbildes fortgesetzt: Straßen wurden reguliert und verbreitert, Plätze, repräsentative öffentliche Gebäude und ansehnliche Wohngebäude errichtet, die den Städten besser zu Gesicht standen. Es wurden neue Straßen angelegt, an welchen schöne Wohnviertel mit Villen der Kaufleute, Fabrikanten und Beamten in Parks und Grünanlagen entstanden. In der Umgebung gab es schon Villenviertel, vor allem in dem bekannten Zigeunerwald, der vom Verschönerungsverein nach dem Muster des Wienerwalds neu gestaltet wurde. Es wurden die modernsten zivilisatorischen Annehmlichkeiten eingeführt: in Bielitz baute man 1862 ein Gaswerk, 1888 ein Telefonnetz, 1893 das Elektrizitätswerk, 1895 die Straßenbahnlinie und die Wasserleitung. Unter den öffentlichen Nutzgebäuden entstand u.a. 1890 das Stadttheater, 1893 das Spital und 1903 das Ämterhaus. Um die Jahrhundertwende erarbeitete der Wiener Architekt Fabiani den Plan für eine weitläufige Stadtentwicklung von Bielitz, der die Grundlage für sein weiteres Wachstum bilden sollte. Im galizischen Biala begannen die Veränderungen erst später und waren nicht so breit angelegt. Das herrlichste Bauwerk in der Stadt wurde die Stadtsparkasse (1895-1897), neben der das Stadtkino (1913) entstand. Vor allem auf den beiden Ringplätzen wurden viele neue Gebäude gebaut. 1902 gab es die Wasserleitung.
Der räumlichen Entwicklung entsprach auch die gesellschaftlich-kulturelle. Mit jedem Jahr kamen zu den alten, beliebten Vereinen und Organisationen, wie u.a. die Bielitz-Bialaer Schützengesellschaft, der B.B. Männergesangverein, der Leseverein neue hinzu. Einer der wichtigsten und größten neuen Vereine war der 1893 gegründete Beskidenverein. Die Städte am Vorgebirge waren Ausgangspunkt für Wanderungen in die Schlesischen und Galizischen Beskiden, die vom Beskidenverein durch ein Netz gut markierter, gepflegter Wanderwege und ausgezeichnet bewirtschafteter Schutzhäuser erschlossen wurden. Die Berge zogen besonders die Touristen aus dem preußischen Industriegebiet Oberschlesiens an. Sie kamen mit ganzen Ausflugzügen an, um wie die Bewohner von Bielitz-Biala, im Schoße der Natur, nach einer Woche in Rauch und Lärm der Städte, auszuspannen und sich zu erholen.
Das alles bot ein Bild von schönen und wohlhabenden Schwesterstädten, die [deren Bewohner] allen berechtigten Grund hatten, über das durch eigene Leistung Erreichte stolz zu sein. Sie selbst nahmen die ungeheueren Veränderungen erst so recht wahr, als 1913 der „Führer durch Bielitz-Biala und Umgebung” von Karl Jankowski jun. erschien. Er schrieb den Satz: „Wer vor dreißig, vierzig Jahren Bielitz-Biala verlassen hat, wird heute nicht eine Straße, kaum irgend einen größeren Häuserblock mehr unverändert finden.” Machen wir uns nun auf zum Spaziergang in jene Epoche großer Veränderungen und schauen wir uns das an, was für die damaligen Bielitzer und Bialaer neu und herrlich war und für uns ein geschätztes Erbe geworden ist.
Beim Anschauen der alten Ansichtskarten überkommen uns Augenblicke der Nachdenklichkeit. Wir fragen uns, wie war damals das Leben dieser dargestellten Menschen. Es scheint, dass eine verständliche (vernünftliche) Antwort auf diese Frage in dem schon anfangs zitierten Satz von Joseph Roth in seiner Novelle „Die Büste des Kaisers” zu finden ist. Obwohl es sich um das kleine galizische Łopatyny handelt, scheint es, dass es sich um alle Städte, Städtchen und Dörfer der damaligen Österreichisch-Ungarischen Monarchie handelt (handeln könnte). Es heißt da: ” Unter der Herrschaft der Habsburger lebten die Leute in Łopatyny glücklich und unglücklich – ganz nach Gottes Ermessen (…) unabhängig von historischen Veränderungen, von Republiken und Monarchien, von der sogenannten Unabhängigkeit der Völker noch nationaler Unterdrückung (…)”.
Die Zeit jener geschichtlichen Umwälzungen und des Wechsels von der Monarchie zur Republik war unvermeidlich. Die alte Monarchie versank in der Vergangenheit im November 1918 und Bielitz-Biala trat in die neue Epoche seiner Geschichte, in die Zeiten der wieder erstandenen II. Republik Polens.

Piotr Kenig

Deutsche Übersetzung: Alois Kremsa
Braunschweig, im Juli 2001

5 thoughts on “Zur Geschichte von Bielitz-Biala bis 1918

  1. Sehr interessant! Mein Urgrossvater hat ca. um 1870 in Bielitz – Biala in einem Spinnereibetrieb gearbeitet, kam ca. um 1875 im Alter von etwa 35 Jahren durch einen Unfall ums Leben und wurde auch dort begraben. Ich habe noch ein Foto von ihm.

  2. hallo vielleicht kan mir ja hier jemand helfen,ich bin auf der suche nach meinen grossvater.oder besser nach den wurzeln meines grossvaters und meiner famillie.

    er war
    ludwig ladislaus klimond
    und kamm aus bielsko biala und kamm nach österreich wo er meine grossmutter heirate.aber er starb leider schon sehr früh als mein vater erst 2 jahre alt war.
    am taufschein meines vaters kann man leider nicht mehr viel lesen nur das
    ludwig klimond
    am 18.2.1877 geboren ist und sein vater bau oder braumeister war.
    vielleicht kann mir ja jemand helfen würde mich freuen.
    liebe grüsse alexander klimond

  3. Meine Vorfahren hatten in Biala eine Weberei bis ca. 1936-40 und sie fliehen mussten nach Österreich Linz aD.

  4. Dies war sehr informativ zu lesen. Mein Urgrossvater Lange stammt aus Bielitz Biala. Da er seine Eltern früh verlor wuchs er bei Verwandten auf und musste in jungen Jahren auswandern um sich einen Lebensunterhalt zu suchen. So viel ich weiss war sein Vater in der Tuchmacherei tätig gewesen. Mein Urgrossvater wanderte bis nach St. Gallen in die Schweiz wo er auch wieder im Tuchhandel tätig war. Später arbeitete er bei der Schneiderei Mettler am Limmatquai in Zürich.
    Ich plane bald nach Bielitz zu reisen. Gibt es ein Archiv wo ich ev Informationen über meine Vorfahren Lange erhalten könnte?
    Vielen Dank

  5. Hat irgendjemand Informationen zu dieser Familie:
    Anton OCZKO *ca.1848 oo Maria HERGERDT – Kinder: Maria Alisia? *ca.1880 / Johann Anton * 3.4.1882 in Biala und mind. 1 weiterer Sohn? namens Wika? – der Familienvater war 1908 Gerichtskanzlist und lebte zw. 1908-1913 in der Augasse 58 in Biala – BIN DANKBAR für jede Hilfe, schreibt mit einfach 'ne E-mail – VG Stephanie

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